Dienstag, 9. Dezember 2025

Das Studentendorf Schlachtensee in Berlin

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Berlin: Studentendorf Schlachtensee (c) Alexander Gütter / DSD


 

Eine herausragende Nachkriegsvariante des Siedlungsbaus

Unter denkmalgeschützten Wohnbauten finden sich sowohl einzelne Bürger- und Bauernhäuser als auch Villen und Pfarrhäuser, Bauten eben, in denen Menschen wohnen: Ein- und Mehrfamilienhäuser. Mit der industriellen Revolution entstanden für die schnell wachsende Arbeiterklasse zunehmend Mietskasernen unterschiedlicher Qualität. Sie entsprangen vornehmlich dem Gedanken, rasch notwendigen Wohnraum zu schaffen. Eine andere Überlegung führte Unternehmen dazu, für ihre Belegschaft Werkssiedlungen zu errichten, die durchdacht zweckmäßige Wohnungen und soziale Infrastruktur verbanden, um den Angestellten etwa ein Wohnen im Grünen zu ermöglichen. Diese Gebäudegruppen – auch als Stadterweiterungen oder Vororte – bildeten eine jeweilige Siedlungs-Einheit mit geplanter Gestaltung und Eingliederung in die umgebende Landschaft. Man denke etwa an Großsiedlungen zu Zeiten der Weimarer Republik oder Siedlungen mit Eigenheimen, Geschosswohnungen und Hochhäusern. Gefördert hat die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beispielsweise die Glashüttensiedlung in Oldenburg, die Frauensiedlung Loheland oder die Siedlung Alte Schmelz in St. Ingbert.

Eine herausragende Nachkriegsvariante des Siedlungsbaus ist seit den frühen 2000er Jahren im Besitz einer Genossenschaft, die von ehemaligen Studenten der Freien Universität (FU) geleitet wird. Nach zuletzt kaum zwei Dutzend Bewohnern und einem drohenden Abriss Ende der 1990er Jahre erreichte diese Genossenschaft den Umschwung. Heute hat das Studentenwohnheim 600 Belegungen und 800 vermietbare Plätze, zwei Gästehäuser mit 66 Zimmern und 2 Apartments für Kurzzeitmieter. Kooperationen mit der FU Berlin, der Uni Potsdam und anderen Bildungsträgern haben zum Erfolg beigetragen.

Das von 1957 bis 1964 mit seiner Campus-Architektur nach amerikanischem Vorbild errichtete Bauensemble des Studentendorfs Schlachtensee gehört mit seiner städtebaulichen Struktur zu den herausragenden Beispielen der frühen Nachkriegsmoderne in Berlin. In Anlehnung an Interbau und Scharounsches Kulturforum ist im Studentendorf die Idee der Stadtlandschaft in gelungener Form verwirklicht worden.

Initiiert wurde die Anlage von Eleanor Dulles, der Schwester des damaligen US-Außenministers. Das Wohnheimprojekt wurde mit einer Spende des State Department errichtet. Die Verwaltung des Studentendorfs übernahm nach seiner Fertigstellung eine Stiftung, in der neben Vertretern der Hochschule auch Vertreter der USA und der studentischen Bewohnerschaft saßen. Das Studentendorf war für über 700 Studierende aus dem In- und Ausland konzipiert.

Das Studentendorf Schlachtensee besteht aus 28 seit 1991 denkmalgeschützten Flachdachhäusern. Sie liegen frei um einen Platz mit Bürgermeisterei/Rathaus für die Verwaltung und die Technikzentrale, einem Gemeinschaftshaus, in dem ein Theatersaal, Mensa und Restaurant untergebracht sind, einem Kindergarten und einer Bibliothek. Die Anlage wurde von den ehemaligen Scharoun-Mitarbeitern Gogel, Fehling und Pfankuch konzipiert. Die Gestaltung der Außenanlage übernahm der Gartenarchitekt Hermann Mattern.

Die scheinbar locker in den Freiraum gruppierten Baukörper sind ein besonders prägnantes und in der Qualität herausragendes Beispiel für die Architektur und Gartenarchitektur der 1950er Jahre. Auch in den Einzelformen der aus vier Bautypen zusammengesetzten Gruppenhäuser ist die Einfachheit und grazile Leichtigkeit der Architektur dieser Jahre zu erkennen. Dabei ergibt sich eine rhythmische Abfolge von offenen und geschlossenen, engen und weiten Räumen sowohl im Außenbereich als auch im Inneren der Häuser. Es gelang den Architekten, die einzelnen Elemente der wie aus einem Guss mit den landschaftlich gestalteten Freiflächen verbundenen Anlage zu einer in Berlin einmaligen Raumkunst zu gruppieren.

Das Studentendorf gilt als wichtiges architektonisches Dokument der hochschul- und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen einer Campus-Universität und – neben der Amerika-Gedenkbibliothek und der Kongresshalle – als Träger freiheitlicher und politischer Wertvorstellungen seinerzeit von hohem Symbolwert für die Nachkriegsgeschichte Berlins im Allgemeinen und für die Geschichte der Freien Universität im Besonderen.
1977 folgte eine Erweiterung um zwei fünfgeschossige Gruppenwohnhäuser von den Architekten Krämer, Pfennig und Sieverts. In den sogenannten Wohngemeinschaftshäusern wurden 352 Plätze neu geschaffen. Erweitert wurden auch die Heizanlage und die Parkplätze.

Nach Abrissgefahr in den 1980er und 1990er Jahren ging 2002 aus den Protesten die Studentendorf Schlachtensee eG hervor, die 2003 Eigentümerin und Betreiberin des Studentendorfs wurde. Für das Grundstück gewährte der Eigentümer der Studentendorf Schlachtensee eG ein Erbbaurecht für die Dauer von 99 Jahren.

Eintrag vom: 03.12.2025